Auslandssemester sind in den meisten Fällen mit viel Planung und einer Menge Arbeit verbunden. Soll es an das andere Ende der Welt gehen, dann müssen schon mal Visa beantragt, Geld gespart und einige bürokratische Hürden überwunden werden. Viele vergessen jedoch, dass auch das nahegelegene, deutschsprachige Ausland als Ort für ein Auslandssemester dienen kann. So zum Beispiel Österreich, und die Fachhochschule JOANNEUM in Graz.
Von Michelle Sensel
„Man hat in der Zeit vor der Bachelorarbeit so viel geleistet. Da will man doch auch einfach mal ein bisschen chillen, oder?“, lautet Benjamins Antwort auf die Frage, warum er ein Semester im Ausland verbringen wollte. Er ist mittlerweile 28 Jahre alt, hat seinen Bachelor in Onlinejournalismus und ist auf dem Weg zum Master in Medienentwicklung. Damals aber, im 6. Semester, als die Bachelorarbeit gerade in Planung ging, war ihm noch nicht bewusst, wohin der Weg gehen soll. Also tat er das, was viele Studenten am besten können: aufschieben. Kurz bevor es an die Bachelorarbeit ging – und ihm nur noch fünf Credit Points fehlten –, entschied er sich, die Reise doch noch anzutreten.
Ein entspanntes 7. Semester sollte es werden. Der damals noch regulär aus sechs Semestern bestehende Studiengang sollte um ein halbes Jahr verlängert werden. Doch wohin des Weges? „Ich hatte eigentlich keine Lust, die zwei Kurse – Englisch 1 und Redaktionsmanagement – in einem englischsprachigen Land zu machen.“ Österreich lag nahe, denn vor seinem Studium verbrachte Benjamin bereits ein Jahr im „Jugendland“ in Innsbruck – ein gemeinnütziges Kinder- und Jugendheim. Die Hochschule kam ihm bei seinem Wunsch, in das Land der Berge zu reisen, entgegen: „Damals wurden als deutschsprachige Städte Graz und Luzern angeboten, weil da eine Kooperation bestand“. Die Wahl fiel also schnell auf die Fachhochschule JOANNEUM in Graz.
Planung muss nicht stressig sein
Ungefähr genauso entspannt ging es für ihn dann knapp einen Monat vor Antritt der Reise in die Planungsphase: „Ich muss sagen, durch die Bachelorarbeit war ich ziemlich gestresst und hatte eigentlich keine Lust, viel zu planen“. Nachdem der Bürokratiedschungel überwunden war, ging dann alles recht schnell. Trotz später Bewerbung wurde er an der Hochschule angenommen. Schnell war eine WG gefunden und das Auslandssemester im „nicht wirklich Ausland“ – weil es nun mal „nur“ Österreich sei – konnte los gehen.
Mit Musik im Blut nach Österreich
Es sollte eine Zeit des journalistischen Arbeitens, der neuen Lebenserfahrungen, aber auch des ausgiebigen Feierns werden. Letzteres liegt Benjamin quasi im Blut. Wer seit Jahren Musik zu seinem Lebensinhalt macht, kann diese Liebe nicht einfach in Deutschland zurück lassen. Benjamin ist seit rund sechs Jahren Chefredakteur eines Blogs über elektronische Musik. Das bringt natürlich Connections in der DJ-Szene mit sich: „Ich war in Graz echt oft unterwegs. Die Stadt ist unglaublich offen. Ich war auf Technopartys im Bunker des Schlossbergs und eines Nachts bin ich auch mal auf einem Bauernhof gelandet. Das war ziemlich geil“. Sowieso ähnele Österreich zumindest bierkulturtechnisch dem Hopfenstaat Bayern: „Es gibt unglaublich viele Kneipen, schöne Cafés und einfach viele Möglichkeiten zum Feiern“. Besonders beeindruckt hat ihn aber, dass die Landesgrenzen Österreichs – wenn man denn einmal in Graz ist – schnell durchbrochen sind. Graz liegt immerhin nur wenige Kilometer von den Landesgrenzen zu Ungarn und Slowenien entfernt.
Eine Exkursion in unbekannte Welten
Deshalb nahm er freiwillig an einer Exkursion teil: Zagreb, Sarajewo, Belgrad und Lubjana – eine Woche lang reisen, bloggen, journalistisch arbeiten und feiern. „In der Zeit haben wir eigentlich jeden Abend gefeiert“. Aber auch journalistische Erfahrungen kamen nicht zu kurz:
So durfte er beispielsweise das Staatsoberhaupt Bosnien-Herzegowinas interviewen, nachdem die Gruppe bereits internationale Nachrichtenunternehmen wie Al Jazeera besuchte. Bezahlt hat die Reise zum großen Teil die Hochschule. Für Benjamin war diese Reise der wohl beeindruckendste Teil seines Auslandssemesters: „Sarajewo liegt beispielsweise einem Tal. Da gibt’s ein paar Städte, die total verwuchert sind. Ein mal sind wir morgens um fünf Uhr auf einen der Berge um Sarajewo herum rauf gefahren. Wir waren alle betrunken – auch der Dozent – und hatten von oben einen richtig geilen Blick auf Sarajewo. Irgendwie ein besonderer Moment. Muslime, Juden, Christen, Serben, Bosnier, Deutsche, Österreicher – alle auf einem Fleck“. Und diese Erfahrung stehe stellvertretend für seine gesamte Zeit in Graz – voller offener Menschen, unterschiedlicher Nationalitäten und neuer Erfahrungen.
Auslandssemester ist nicht gleich Auslandssemester
Es war eine Zeit, die ihm vor allem eines über den Begriff „Auslandssemester“ gelehrt hat: „Es geht nicht darum, im Ausland zu sein um seine fehlenden CP’s zu sammeln, sondern darum, neue Leute kennen zu lernen, den Horizont zu erweitern und den Umgang mit anderen Kulturen zu erlernen“. Am Ende muss ein Auslandssemester eben nicht immer am Ende der Welt stattfinden und mit unglaublich viel Arbeit verbunden sein. In Benjamins Fall war sein „nicht wirklich Auslandssemester“ eher Kontaktbörse, Horizonterweiterung und – man kann es ruhig so sagen – eine einzige große Party.